Über das Leben als Smartphonekind

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Maxi Unger (Foto: Maxi Unger)
Maxi Unger

Ich bin ein Smartphonekind. Ein Social Media Junkie. Und dauerhaft online. Na gut, außer wenn ich schlafe. Aber ich glaube, mein Smartphone geht auch dann heimlich selbstständig online. Denn sonst würde es ja Entzugserscheinungen bekommen. Am Morgen wache ich auf und nehme mein heißgeliebtes Smartphone in die Hand um zu schauen, was sich in der Webgemeinde getan hat, während ich meine Zeit im Land der Träume verbracht habe. Ich erfahre, dass Person 1 einen tollen Abend mit Person 2 hatte. Das Person 3 nicht schlafen konnte. Person 4 macht Werbung für eine Veranstaltung, die mich einen alten Scheißdreck interessiert. Und Person 5 postet ein Selbstporträt, auf dem alle Effekte, die ein Bildbearbeitungsprogramm ihrer Wahl zur Verfügung hatte zusammen kommen. Darüber steht ein Spruch, wie hässlich sie selbst doch ist. Fishing for Compliments. Und das am frühen Morgen. Hallelujah! Ich verkneife mir meinen Kommentar zu posten, denn ich möchte nicht schon am frühen Morgen als Troll dastehen.


Letztendlich sind all die Dinge, die ich am frühen Morgen meiner Facebook und Twitter Timeline entnehmen konnte. Dinge, die ich nicht wissen wollte. Dinge, die mein Leben kein Stück beeinflussen. Selbst wenn ich es wollte. Natürlich kann ich mit meinem Smartphone noch viel mehr machen. Sonst wäre ich kein Smartphonekind. Ich stöbere durch die Nachrichtenapp meines Vertrauens und bin immer up to date. Meine Mitmenschen bemerkten davon am meisten den obligatorischen Blick auf das neongrüne Etwas in meiner Hand. Habe ich es nicht in der Hand liegt es natürlich in Reichweite. Denn wenn die winzig kleine Benachrichtigungs-LED zu leuchten beginnt, ist das für mich ein Zeichen, dass ich theoretisch außerordentlich wichtig bin, denn ich habe eine Nachricht bekommen. Auch wenn es nur eine Mail vom Onlineshop mit der Schreiwerbung ist, welcher mich auf seine neuen Trends aufmerksam machen möchte und nebenbei noch mit einem äußerst knausrigen Gutschein aufwertet. Noch mehr Dinge, die mir am Arsch vorbeigehen.


Und trotzdem schleppe ich meine kleine Verbindungstür zur virtuellen Welt den ganzen Tag mit mir herum. Und Zuhause sitze ich davor. Mein Notebook, meine Verbindungstür ins Social Web. Nur einen Klick entfernt. (Das sinnlose Herumgeklicke, wenn das Notebook beim hochfahren zu viel Zeit braucht bleibt außer Acht.) Und dann ist man auch am heimischen Schreibtisch oder auch im eigenen Bett bestens mit den Sinnlos-Posts der Facebook-Gemeinde versorgt. Man kann Streits zwischen ehemaligen BFF’s (Best friends forever) live miterleben. Fehlt eigentlich nur noch das Popcorn.


Was würde passieren, wenn diese Social Media Web Tür plötzlich zu wäre? Kein Smartphone. Kein Notebook. Kein Facebook. Kein Twitter. Kein gedankliches Trollen. Kein Spiegel Online auf dem Handy. Keine E-Mails. Kein Wikipedia um in der Pause herauszufinden, was ein Darmverschluss ist (ist etwas ganz ganz schreckliches!!!). Kein Spotify, welches plötzlich aus heiterem Himmel aufhört Musik auszuspucken. Das wäre dann auf den ersten Blick der Weltuntergang. Wenn nicht gar noch schlimmer. Ich müsste mich ernsthaft um Beschäftigung kümmern und hätte keine Ausrede mehr, keine Hausaufgaben zu machen.


Ich habe es versucht, ganz ehrlich. Ich habe versucht, eine Woche ohne Internet und Handy auszukommen. Erschien mir eigentlich ganz einfach. Smartphone wurde unfreiwillig gegen einen Steinzeitlichen Knochen eingetauscht, mit dem man sogar SMS schreiben und Telefonieren konnte: „Nur für Notfälle.“ Das war die Begründung. Adressen von Menschen, mit denen ich hauptsächlich über Facebook kommunizierte wurden ausgespäht, um über den ganz altmodischen Briefwechsel in Kontakt bleiben zu können. Perfekte Vorbereitung nenne ich das. Ich war bereit. Motiviert, mich vom Smartphonekind in ein Hausaufgabenkind zu verwandeln. Oder in ein Kamerakind. Oder weiß der Geier was. Nur eben kein Smartphone- beziehungsweise Social-Media-Kind mehr.


Es wäre mit Sicherheit auch nicht schlimm gewesen. Meine Freunde sehe ich auch in der Schule. Zur Not kann man auch über das Telefon kommunizieren. Nachschlagen kann ich mit meinem Uralt-Brockhaus, in welchem Angela Merkel noch nicht einmal Bundeskanzlerin ist. (Dabei beruhigt mich die Tatsache, dass Mozart schon als tot aufgeführt wird.) Menschen gedanklich trollen kann man auch im echten Leben auf der Straße. (Theoretisch, wenn denn mal jemand vorbeikommt.) Und alles andere ging doch in der Zeit vor Facebook & Co auch. Meine ich gehört zu haben.


Also begann ich an einem Montagmorgen höchstmotiviert mein Experiment. Doch als ich nach der Schule nach Hause kam drohte der erste Zwangsabbruch: ich musste an einem Projekt Korrekturen machen. So schnell wie möglich. Und über Facebook Bescheid sagen. Ignorieren… Lieber nicht. Wenn sogar schon Zettel an der eigenen Tür kleben, die einen darauf hinweisen. Ich erledigte brav meine Aufgabe, lies den Ersatzknochen in Ruhe und verbrachte einen glücklichen Tag. Ehrlich! Tag zwei verlief auch ohne weitere Zwischenfälle. Twitter ist durch meine Abwesenheit nicht plötzlich von der Bildfläche verschwunden und auch die Geschehnisse in der Welt gingen weiter, auch wenn ich mich nicht darüber informieren konnte. Beruhigende Tatsachen. Doch am nächsten Tag stand ein Englisch Projekt an. Was am Notebook erledigt wurde. Bildbearbeitung und so einen Kram. Die beteiligte Gruppe fragt man natürlich über Facebook nach Verbesserungsvorschlägen. Und während man auf Antwort wartet erfreut man sich an den Geschehnissen in der eigenen Timeline. Mails werden natürlich auch mal kurz schnell abgerufen. Und schon ist man wieder im Social Web drin. Wie als würde es „blub“ machen und man ist wieder in der Blase. Ich habe keine Ahnung, welchen Grund ich hatte, den Rest der Woche auch online zu verbringen. Ich glaube ich hatte es einfach vergessen, offline zu bleiben.


Aber ganz ehrlich? Egal ob offline oder online. Das Leben geht weiter. Soziales Leben auch. Ob ich nun drei oder elf Bitchfights live miterleben kann, ist schlussendlich auch egal. Oder ob ich im Lexikon oder bei Wikipedia nachschlage, wann Goethe endlich gestorben ist. Vielleicht hat das Onlinesein noch einen Einfluss auf den Stromverbrauch, aber mehr auch nicht. Das lässt das Offlinesein eigentlich ganz easy klingen. Aber aus Bequemlichkeit entscheiden wir uns dagegen. Ich bewundere Menschen, die das wirklich durchziehen. Aber ich könnte es nicht. Nicht wegen dem Trollen. Aber weil man wunderbar einfach Menschen erreichen kann! Egal ob über eine kurze Nachricht oder ein Foto, welches man auf Instagram hochlädt. Weil man sich manchmal wie ein Teil von etwas fühlt, was man eigentlich gar nicht ist. Weil man etwas verpassen könnte. Zum Beispiel den nächsten sinnlos-Gutschein von Zalando. Auf welchen ich wohl auch ganz einfach verzichten könnte.


Und doch ist da die Neugierde. Die weiße Lampe am Smartphone leuchtet. Eine Mail. Es könnten gute Nachrichten für mich sein. Mails, die ich schon lange erwarte. Oder eben ein blödes Newsletter. Aber ich hoffe ja auf Ersteres. Und so dreht sich der Kreis. Wenn die Facebooklampe leuchtet steht die Wahl zwischen Nachrichten von lieben Menschen oder von blöden Menschen. Was ist, wenn es der liebste Mensch war und man es einfach ignoriert? Denn dieser jemand macht vielleicht nicht gerade eben ein komisches Offline-Experiment. Die Welt dreht sich weiter. Aber was ist wenn man doch irgendwann rausfällt? Trotz Oldschoolpost und Schule. Denn es gibt auch noch Ferien. Und Kranksein. Und so. Zum Aussteigen aus dem Karussell aus der Social Media Welt ist es eindeutig zu spät. Aber ganz ehrlich? Wer bedauert das schon? Es hätte doch auch viel schlimmer kommen können. Zum Beispiel Nachrichten versenden via Staubsauger. Nur so als Beispiel. Aber bis der Staubsauger diese Fähigkeit erreicht, bleibe ich lieber Smartphonekind.

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