Stasi - auch heute noch ein Thema am Kamenzer Gymnasium

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Location(s): Gotthold-Ephraim-Lessing-Gymnasium Kamenz

Themen zu diesem Artikel: Podiumsdiskussion

Roland Jahn (Foto: Georg Hiller)
Roland Jahn

 „Aber ihn haben sie nur einmal…“ meint die Bundestagsabgeordnete Maria Michalk zum Beginn der Podiumsdiskussion mit Roland Jahn aus der Stasiunterlagenzentrale. Der gute Herr ist für zwei Tage im Wahlkreis der Abgeordneten und sie hat es sich nicht nehmen lassen, ihn auch in unsere Schule zu schleppen, damit er interessierten Schülerinnen und Schülern etwas erzählt und Fragen beantwortet. Schließlich ist er Zeitzeuge und hat die DDR mit all ihren Seiten hautnah miterlebt. Heute ist er Bundesbeauftragter. „Es ist einmalig in der Weltgeschichte, dass eine Geheimpolizei eines Staates durch die Bürger dieses Staates gestoppt wird in ihrem Handeln. Dass die Bürger die Dienststellen einer Geheimpolizei stürmen und damit verhindern, dass die Geheimpolizei weiter arbeiten kann. Dass durch die Bürger dann die Akten, die durch die Geheimpolizei geschaffen wurden gesichert haben. Das war dann die friedliche Revolution.“ Zwar gehörte nicht nur das Stürmen der Stasi-Zentralen zur Revolution, aber es ist ein Teil, der davon heute noch vorhanden ist. Genau 111 km Akten lagern in Berlin. Das, was die Geheimpolizei zusammengetragen und aufgeschrieben hat.  
Nur was bringen diese Akten heute noch? Schließlich sind es „olle Kamellen“, wie Jahn so schön sagt. Wir alle sind im heutigen Deutschland aufgewachsen und niemand fertigt geheime Akten über uns an. Und wenn doch, weiß niemand etwas davon. Wir müssen einfach verstehen, was damals wirklich passiert ist. Wie die Geschichte funktioniert hat. Dafür wurde den Teilnehmern auch gleich ein passendes Beispiel geliefert: „Was würdet ihr tun, wenn der Banknachbar oder der Freund Informationen an die Schulleitung gibt über das, was der Freund denkt?“, fragt uns Jahn. Ich persönlich wäre stinksauer und wüsste nicht, was die meine Gedanken angehen. Allerdings bin ich mir sicher, dass meine Freunde so etwas nicht tun würden. Für den heutigen Bundesbeauftragten bestand damals allerdings die Frage: „Kann ich meinem Freund trauen oder nicht?“ Diese Frage bewegt ihn bis heute, da er immer wieder neue Dinge aus den Akten oder aus Erfahrungsberichten lernt.

Ein sehr wichtiger Punkt damals war seiner Meinung nach die Meinungsfreiheit: „Ich habe damals in der Schule und auch im Studium immer ganz offen meine Meinung gesagt.“ Was hat er daraus erfahren? Dass seine Meinung sogar festgehalten wurde. Er kann sie jetzt nachlesen. In Stasiakten! So lustig das auch klingt, es ist doch total krass, dass ein Seminarleiter beim Studium das aufschreibt, was ein Student äußert. Und weil genau diese Meinung vom Staat sehr kritisch angesehen wird, flog Jahn auch von der Universität. Jedoch nicht einfach so. In diesem Fall gab es genug Ideen. In Jahns Fall sollten seine Kameraden darüber abstimmen, ob er bleiben darf oder nicht. Am Abend davor versicherten sie ihm, dass alles gut werden würde und er bleiben könne. Die Abstimmung endete 13:1. Gegen ihn. Die DDR hatte alles im Griff. Sie verwaltete über das Leben der Leute, wie es ihr in den Kram passte. Schlichtweg eine Diktatur, „ein System der Angst, das gewirkt hat“, wie Jahn es nennt. Die Hintergründe dazu hat er in seiner Akte gefunden.  In einer der langen 111 Kilometer.

Dort sind Geschichten dokumentiert. Geschichten über Schicksalen von Menschen, wie sie in der DDR aufs Genauste ausspioniert wurden. Nur, weil sie ihren Staat in Frage gestellt haben.

„Wonach wurden eigentlich die Menschen ausgewählt, die von der Stasi überwacht wurden?“, möchte eine Schülerin wissen. Schließlich wird niemand als Staatsfeind geboren. Und es war genauso wenig die Absicht der Meisten, als Staatsfeind gesehen zu werden. Dabei begann das oft schon in der Grundschule beim Thema Freie Deutsche Jugend und kritischen Fragen im Unterricht. Mit letzerem konnte Jahn, wie wir wissen ausreichend Bekanntschaft machen. Von irgendjemand wurde das dann dokumentiert und wenn von dessen Vorgesetzten bei der betroffenen Person anhand dieser Notizen staatsfeindliche Neigungen erkannt wurden wurde diese Person dann nonstop überwacht. Nur, was macht man, wenn einem klar wird das man selbst überwacht wird? Schließlich ist das absolut keine angenehme Situation. Jahns damalige Methode: nicht dran glauben, dass seine eigenen Freunde bei der Stasi sind. Die Enttäuschung traf ihn erst Jahre später: einige waren es doch und haben mitgeschrieben. Allerdings war es sehr einfach, ins Visier der Organisation zu rücken. Wenn es verboten beziehungsweise nicht erwünscht ist bestimmte Musik zu hören oder West-Jeans zu tragen. Wenn die Haarlänge vorgegeben ist. Dann ist es doch denkbar einfach, negativ aufzufallen. Und in Untersuchungshaft zu kommen, wo man sich allen möglichen Psychoterror gefallen lassen darf.

Nur, warum ließen sich Menschen überhaupt überreden für so eine Organisation zu arbeiten? Es wurden Psychogramme erstellt. Wie ist A drauf. Was mag er. Was mag er nicht? Und dann wurde versucht denjenigen zu knacken. Denn wer will schon, dass der eigene Vater den guten Job verliert? Jahn stellte uns Schülern eine Dikatur vor. Wie ein Prinzip des Terrors und der Überwachung in einem Land und dessen Grenzen hinaus über Jahre funktioniert hat. In Westdeutschland gab es Spitzel, sogar ganz nah am damaligen Bundeskanzler Willy Brandt. Nur davon sind kaum Akten vorhanden. Die Vernichtung durch die Stasi war schneller.

Aber 111 Kilometer andere Akten sind ja zum Glück noch vorhanden. Jeder kann hingehen und seine eigene Akte lesen, sofern er denn eine besitzt. Und wenn nicht, können Forscher und Journalisten die Akten über die damaligen Stasimitarbeiter sichten. Mit Erlaubnis der betroffenen Person sogar Akten von Überwachten. Bis vor kurzem wurde man in dieser Zentrale auch noch von ehemaligen Stasimitarbeitern empfangen. Wie eine kleine Zeitreise. Jahn entließ diese Mitarbeiter, was zu einer ziemlich großen Diskussion in den Medien geführt hatte und auch bei der Diskussion hinterfragt wurde. „Nicht ehemalige Offiziere sollen für die Aufarbeitung verantwortlich sein. Die Empfindungen der Opfer sind ein ernstzunehmendes sensibles Thema.“, sagt der Bundesbeauftragte dazu.

Ein ernstzunehmendes Thema, einer Diktatur, die gerade einmal vor 22 Jahren ein Ende gefunden hat. Eigentlich überhaupt keine lange Zeit. Und deshalb sollten wir Schüler uns auch mit diesem Thema auseinandersetzen. Unseren Eltern zuhören, was sie damals erlebt haben. Und was Roland Jahn allen mit auf den Weg gegeben hat: „Wissen, dass es wichtig ist zu wiedersprechen, denn es bringt keine Nachteile. Wir sollen unsere Meinungsfreiheit nutzen, denn die Freiheit schützen wir am besten, indem wir die Freiheit nutzen.“

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